*, :, _, Binnen-I – ist das eigentlich noch lesbar?
Sprache und Geschlecht
Zu Beginn ein kleines Rätsel:
Vater und Sohn fahren im Auto. Sie haben einen schweren Unfall, bei dem der Vater sofort stirbt. Der Junge wird mit schweren Kopfverletzungen in ein Krankenhaus gebracht. Die Operation wird vorbereitet, alles ist fertig, als der Arzt erscheint, blass wird und sagt: „Ich kann nicht operieren, das ist mein Sohn!“.
Frage: Wie ist das möglich?
Die Antwort auf das Rätsel ist: Der Arzt ist die Mutter des Kindes, also eigentlich die Ärztin. Dieses Beispiel zeigt, dass Sprache Bilder im Kopf entstehen lässt. Das generische Maskulinum lässt daher leider häufig falsche Bilder entstehen. Sprechen wir von den Ärzten, den Abteilungsleitern oder den Mitarbeitern, entsteht meist ein männliches Bild vor Augen.
Die Experimentalpsychologie und Kognitionswissenschaft sind Forschungsfelder, die sich mit der mentalen Repräsentation von Sprache beim Hören und Lesen auseinandersetzen. Sie zeigen, dass…
- - Sprache und Denken stark verwoben sind
- - Auch wenn Frauen bei Verwendung einer bestimmten Sprachform, wie dem generischen Maskulinum (z.B. Student) mitgemeint sind, heißt das nicht, dass sie auch mitverstanden werden
- - Im Deutschen (und vielen anderen Sprachen) haben alle Substantive ein grammatikalisches Geschlecht (das Genus), z.B. die Jacke, der Mantel, die Couch. Bei Gegenständen ist dies relativ willkürlich, kann aber die Wahrnehmung beeinflussen, sodass die Unterteilung nach Geschlecht ständig präsent ist. In anderen Sprachen gibt es diese Unterscheidung nicht (z.B. im Englischen).
Eine Studie zeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen der Struktur der Sprache eines Landes und der Geschlechtergerechtigkeit dort gibt: Der Gender Gap ist in Ländern mit grammatikalischem Genus größer als wenn die Sprache kein Geschlecht markiert. ( (wird in neuem Tab geöffnet)) https://deutscher-frauenring.de/wp-content/uploads/2019/10/76_geschlechterklischees.pdf
Inzwischen gibt es ein großes Bewusstsein für den Einfluss von Sprache auf unsere Wahrnehmung und auch an der TU Darmstadt gibt es einen Leitfaden bezüglich geschlechtersensibler Sprache.
Mit Sprache wird folglich meist eine Auskunft über das Geschlecht einer anderen Person gegeben. Doch manchmal entspricht jene Zuordnung nicht der eigenen Geschlechtsidentität.
Prof.ens Dr.ens Lann Hornscheidt (zuvor HU Berlin) beobachtet, dass zunehmend mehr Menschen eine Selbstauskunft über ihrer Geschlechtsidentität abgeben: „bei Zoom-Meetings, da stehen Namen und Pronomen, das entnormalisiert Privilegien.“ Damit würde diese Selbstauskunft nicht länger jenen zugeschoben, die im Moment als „Ausnahme“ diskriminiert werden. „Die große, häufig emotionale Abwehr zeigt ja nur, wie wichtig Sprachveränderungen sind – sonst gäbe es nicht solche Reaktionen.“